von Nico Aten
Fiede Schmidts Hof, jetzt bekannt als Lindenhof, ist schon längere Zeit nicht mehr als Bauernhof in Benutzung. Ab 1979 wurde der Resthof ein Ferienlager für Schulklassen. Aber 2007 war auch damit Schluss. Der Betrieb wurde aus Sicherheitsgründen stillgelegt. Seitdem steht das Gebäude verlassen da und wartet auf eine neue Nutzung. In ihm steht und liegt alles, als ob die letzte Schulklasse gerade abgereist wäre. Das Geschirr steht bereit in den Schränken, die 60 Stockbetten stehen in Reih und Glied mit Matratzen, Decken und Kissen, fertig für neue Buchungen. Der Kalender zeigt noch den 19. Juli 2007. Nun baut sich über allem eine stetig wachsende Staubschicht auf.
Der Lindenhof hat auf Pellworm schon längst keinen guten Ruf mehr. ‚Abreißen‘ ist das meistgenutzte Wort. Tatsächlich ist es ein altes Gebäude und der Weg bis hin zu einer modernen, komfortablen Nutzung scheint lang und teuer, wenn überhaupt begehbar.
Alte Gebäude, seien es Kirchen, Wohnhäuser oder Bauernhöfe, können nicht dauerhaft erhalten bleiben, wenn es für sie keine Nutzung mehr gibt. Dies führt dazu, dass immer mehr alte Gebäude abgerissen werden, statt diese zu erhalten. In der Denkmalpflege ist es darum schon lange üblich, dass mit Hinsicht auf die Nutzung oder Umnutzung gewisse Zugeständnisse gemacht werden an den Erhalt von historischer Substanz, vor allem im Gebäudeinneren. In den letzten Jahrzehnten droht dabei die Bilanz zu kippen: mehr und mehr sind es die Eigentümer, die einem Gebäude ihren Willen auflegen, statt dass man sich, angesichts der historisch gewachsenen Gegebenheiten, dem Gebäude anpasst. Für so manchen ist das Prestige eines historischen Gebäudes verlockend, ohne dass man auf eine moderne Küche, Fußbodenheizung und anderen ‚zeitgemäßen‘ Komfort verzichten will. Sogar eingetragene Denkmäler werden dadurch von einer stetigen Erosion bedroht.
Pellworm hat sehr wenige eingetragene Denkmäler; im Moment nur Alte Kirche, Neue Kirche, Anton-Heimreich-Haus, Leuchtturm und Nordermühle, gegebenenfalls mit Anlagen und Nebengebäuden und, als einzige Hofanlage, Süderoog. Dennoch hat Pellworm weit mehr und nicht weniger bedeutsame alte Gebäude, die eine große Rolle spielen im Landschaftsbild der Insel. Dabei geht es nicht nur darum, wie die Einwohner ihre Insel sehen und erfahren, sondern auch um die Attraktivität der Insel für Außenstehende. Das sollte jedem wichtig sein, der akzeptiert, dass der Tourismus die zweitwichtigste Einnahmequelle der Insel ist. Die alten Gebäude vermitteln Geschichte und machen den Werdegang Pellworms anschaulich. Sie erzählen von der Bodenständigkeit der Pellwormer. Übrigens ist nach dem heutigen Denkmalschutzgesetz von 2015 die Eintragung in die Denkmalliste nicht mehr allein entscheidend für die Schutzwürdigkeit eines Gebäudes. Seit 2015 muss jedes Bauvorhaben, das potenziell Denkmalwerte beeinflussen könnte, denkmalbehördlich geprüft werden.
Was macht den Lindenhof nun so besonders?
Der Lindenhof ist einer von den wenigen Vierkanthöfen, die in Schleswig-Holstein erhalten geblieben sind. Ein Vierkanthof ist ein Gebäude aus vier Trakten um einen Innenhof. Höfe in dieser Größe hat es im Norden überhaupt nicht viele gegeben, weil sie nur nötig waren bei außergewöhnlich großen Landflächen. Auf dem Festland kennt man noch den Cixbüllhof in Rodenäs aus 1843, den Hof Hülltoft bei Seebüll, den Nahnshof in Niebüll aus 1778 und den Charlottenhof in Klanxbüll. Außerdem blieb der Carolinenhof aus Galmsbüll erhalten, allerdings nicht an originaler Stelle, sondern im Freilichtmuseum Molfsee bei Kiel. Sämtliche dieser Vierkanthöfe stehen bzw. standen viel weiter nördlich, Richtung der heutigen dänischen Grenze.
Es ist also bemerkenswert, dass gerade Pellworm auch mehrere Vierkanthöfe kannte, eben wohl bedingt durch die Größe der zugehörenden Landflächen. Vier solche großen Höfe sind bekannt, wovon nun nur noch zwei erhalten geblieben sind. Nicht mehr vorhanden ist der Vierkanthof auf Süderoog. Hiervon blieb nur der Wohnteil übrig. Durch spätere Ergänzungen ist der Hof dann aber wieder zu einer U-Form herangewachsen. Auch nicht mehr vorhanden ist der Vierkanthof am Nordermitteldeich 46, heute Friedrichsen. Dieser Hof brannte Ende des 19. Jahrhunderts völlig ab und wurde durch ein neues, einfacheres Haus ersetzt, das vor wenigen Jahre auch schon wieder erneuert wurde. Zwei große Vierkanthöfe gibt es noch auf Pellworm, den Waldhusenhof und den Lindenhof. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es schon noch einen weiteren, aber kleinen Vierkanthof gibt auf Pellworm, am Nordermitteldeich 7, der, was Größe, Bau- und Entstehungsweise betrifft, aber nichts gemein hat mit den sonstigen Vierkanthöfen.
Wer den Lindenhof nicht wie üblich über den Stall, sondern über den ‚offiziellen‘ Eingang auf der Südseite betritt, kommt direkt in die Hausdiele und blickt dort gegenüber dem Eingang auf eine Zwischenwand mit einer Doppeltür in prunkvoll geschnittenem Türrahmen. Über dem Durchgang steht die Aufschrift „IEHOVA“ und die Jahreszahl „1773“. Im 18. Jahrhundert war es allgemein üblich, sowohl die Stuben (die geheizten Wohnzimmer für den täglichen Gebrauch) als auch die Pesel (die ungeheizten Prunkzimmer für Sonn- und Feiertage) mit reichverzierten Täfelungen und Türen auszustatten. Besonders die Alkoven wurden überschwänglich mit Schnitzereien geschmückt. Die Türen im Lindenhof stammen von solch einem Alkoven und befinden sich in der Diele nicht an der ursprünglichen Stelle. Diese Türen befanden sich früher ohne Zweifel in einer Stube oder einem Pesel. Ob das im Lindenhof war, lässt sich jetzt nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Von der Höhe her passen die Türen aber genau unter den Deckenbalken, was dafürspricht. Dagegen spricht, dass diese Türen nicht erwähnt werden in der akribischen Auflistung und Beschreibung aller Denkmäler des Kreises Husum aus 1939. Mittlerweile sind mit Schnitzereien geschmückte Inventarteile äußerst selten geworden. Auf Pellworm sind solche Holzarbeiten aus dem 18. Jahrhundert sonst nur noch auf dem Waldhusenhof vorhanden.
Eine weitere Besonderheit des Lindenhofes ist die weitgehend intakte Zimmereinteilung im alten Wohnbereich, zum Teil noch mit Zimmertüren des 18. Jahrhunderts. Rechts von der Diele finden wir die typische Raumaufteilung aller Häuser im nordfriesischen Küstenraum: auf der Südseite hintereinander die Stube und der Pesel und auf der Nordseite die Küche und die Kellerkammer. Die Kellerkammer verdankt ihren Namen dem darunterliegenden Keller. Üblicherweise liegt die Kellerkammer ein oder zwei Stufen höher als die anderen Räume. Die Keller waren immer über eine Treppe von der Küche aus zugänglich. Im späten 19. und im 20. Jahrhundert wurden die alten Keller, wenn sie nicht zugeschüttet wurden, oft mit einer aus Backsteinen gemauerten, gewölbten Decke auf Eisenträgern neu eingedeckt. Im Lindenhof ist aber noch die ursprüngliche Holzdecke vorhanden; die Holzdielen sind hier gleichzeitig Kellerdecke und Fußboden der darüberliegenden Zimmer.
Die Breite der Räume wurde früher nach Fächern bemessen, wobei ein Fach den Raum zwischen zwei Deckenbalken ist, ungefähr zwei Meter. Bei kleinen Häusern sind Stube und Pesel jeweils zwei Fach breit, bei größeren Häusern drei Fach. Beim Lindenhof ist allerdings der Pesel ungewöhnliche vier Fach breit. Dieser Pesel sticht also durch seine Größe besonders heraus und muss dadurch ein sehr stattlicher Raum gewesen sein. Heute lässt sich das nicht mehr leicht erkennen, weil der Raum später in zwei Zimmer aufgeteilt wurde. Ein besonderes Zeichen des Wohlstandes ist der zweite Schornstein des Hauses im Pesel. Normalerweise war der Pesel ein ungeheiztes Zimmer. Im Lindenhof gab es allerdings früher scheinbar nicht nur in der Stube, sondern auch im Pesel einen ‚Bilegger‘, ein Heizofen aus Gusseisenplatten. Der Schornstein steht frei im Raum und wird also von Alkoven, oder wie man auf Pellworm sagt, Lukebetten, flankiert gewesen sein.
Durch den überbreiten Pesel entsteht an der Nordseite des Wohnbereichs mehr Platz für einen Keller, der deswegen zwei Räume hat, und auch die darüberliegende Kellerkammer ist zweigeteilt. Große Höfe haben oft noch weitere, zusätzliche Zimmer. Im Lindenhof liegt nördlich der Kellerkammern noch eine Wohnstube. In einer solchen Extrastube konnten die vielen Holztruhen aufgestellt werden; Schränke waren bis ins 19. Jahrhundert luxuriöse Möbel für den Pesel, geeignet für zum Beispiel Glasgeschirr. Teller dagegen wurden im Tellerbrett aufbewahrt und Kleider, Bücher, Papiere und andere Habseligkeiten wurden damals alle in Truhen aufgehoben.
Noch ein weiteres Zimmer ist die sogenannte Norderstube, die bei großen Höfen nördlich an die Hausdiele anschließt. Diese Norderstube war für die Töchter des Hauses und die Mägde gedacht. Typisch für die nordfriesischen Häuser ist das kleine Guckfenster, wodurch man von der Wohnung aus in die Hausdiele blicken kann. Im Lindenhof ist dieses Fenster noch vorhanden in der Wand zwischen Norderstube und Diele. Links von der Diele liegen, auf dem Übergang von der Wohnung zum Stallraum, noch die Knechtekammer und die Spieskammer.
Die Stallräume des Lindenhofes wurden im Laufe der Zeit stark verändert, und hier ist wenig Ursprüngliches zu finden. Der noch vorhandene Futtergang und die Tränken sind nicht alt. Wohl noch erkennbar ist die Dreschdiele mit ihrer (nicht mehr funktionierenden) Toreinfahrt. Der Dachboden über dieser Diele ist erhöht. Nur dadurch konnte man mit einem vollgeladenen Wagen ins Gebäude hineinfahren. Gleichzeitig hatte man auf diese Weise von der Diele aus direkten Zugang zum Dachboden, um Ernte und Stroh dort lagern zu können. Schließlich war die erhöhte Decke auch nötig, um mit dem Dreschflegel dreschen zu können. Der Dachstuhl des Lindenhofes ist zum größeren Teil noch original; Änderungen wurden zum Teil durch Wiederverwendung der vorhandenen Hölzer durchgeführt. Eine Rückänderung bis hin zur ursprünglichen Dachform wäre möglich.
Ist der Lindenhof erhaltenswert?
Insgesamt betrachtet ist der Lindenhof ein besonderes Gebäude wegen der seltenen Form des Vierkanthofes, wegen des weitgehend erhalten gebliebenen, vornehmen Wohnbereiches aus dem 18. Jahrhundert, mit holzgedecktem Keller und mehreren ursprünglichen Zimmertüren und wegen der erhaltenen Alkoventür. Außerdem ist das Gebäude durch seine Lage auch prägend für das Landschaftsbild.
Es wäre daher aus vielerlei Sicht sehr zu wünschen, dass das Gebäude für Pellworm erhalten bleibt. Eine minimale Lösung wäre der Erhalt des Wohnbereiches in seiner jetzigen Substanz und ein Neubau des restlichen Gebäudes entsprechend der jetzigen Hauptform.
Ob es finanziell machbar ist, kann hier nicht beurteilt werden. Dabei bewegt Denkmalpflege sich grundsätzlich in einem Spannungsfeld: es ist immer zu wenig und immer zu viel. Ein großer Nachteil der jetzigen Vorgehensweise der Denkmalpflege auf Pellworm ist, dass jedes Bauvorhaben nur einzeln geprüft wird. Es gibt keinen Gesamtplan darüber, was auf Pellworm mindestens zu erhalten wäre, um Pellworm seinen eigenen Charakter zu bewahren. Die anfangs genannten wenigen eingetragenen Denkmäler sind dazu sicherlich nicht ausreichend. Gäbe es einen solchen Gesamtplan mit Leitlinien für die Denkmalpflege auf Pellworm, dann wäre der Lindenhof nicht gefährdet.
Abb.1: Grundriss des Lindenhofes rekonstruiert nach dem Zustand um 1900.
Abb.2: Alkoventüren, jetzt als Zwischenwand in der Hausdiele wiederverwendet.
Abb.3: Zimmertür zur Kellerkammer mit geschmiedeten Türbändern des 18. Jhs.