Aber – der Klimaschutzdeich im Westen der Insel kommt!
Am 16.11. hatte Bürgermeisterin Astrid Korth gemeinsam mit den Fraktionen der Gemeindevertretung zu einer öffentlichen Veranstaltung in Sachen Deichsicherheit und Katastrophenschutz geladen. Minister Tobias Goldschmidt vom Ministerium für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur, Dr. Johannes Oelerich, der Abteilungsleiter für Wasserwirtschaft, Boden- und Küstenschutz im Ministerium, Boye Hach vom Fachdienst Rettungswesen des Kreises Nordfriesland sowie Claus Stock vom Amt Pellworm sollten Auskunft über den aktuellen Stand, sowie konkrete Planungen geben. Das Interesse war groß, das Bürgerhus war bis auf den letzten Platz besetzt, weit mehr als 100 Pellwormer und Pellwormerinnen wollten wissen, wie es um sie und die Insel steht. Die Husumer Nachrichten und selbst das ZDF hatten Reporter und Kamerateams nach Pellworm geschickt.
Nach einer Begrüßung durch die Bürgermeisterin eröffnete Minister Goldschmidt den Abend. Eindrücklich stellt er dar, dass der Klimawandel uns bereits längst erreicht hat, ehemalige Siele auf dem Festland müssen zu Schöpfwerken umgebaut werden, um den Wassermassen Herr zu werden, die Gänseproblematik, auch eine Folge des Klimawandels, und die zunehmende Bedrohung durch ansteigende Meeresspiegel und heftigere Stürme. Er wies darauf hin, dass es eine hundertprozentige Sicherheit nie geben können, dennoch habe die Landesregierung im aktuellen Generalplan Küstenschutz die Deiche an der Westseite der Insel im Wester- und Alten Koog priorisiert, so dass hier bereits konkrete Planungen zum Bau von Klimaschutzdeichen laufen. Obwohl aus Sicht des technischen Küstenschutzes eine Deicherhöhung hier nicht zwingend erforderlich sei, habe man sich aufgrund der fehlenden 2. Deichlinie und den fehlenden Evakuierungsmöglichkeiten auf Pellworm entschlossen, diese Deichabschnitte vorrangig zu sichern. Boye Hach vom Rettungsdienst Nordfriesland erläuterte die Organisation des Katastrophenschutzes, den Aufbau der Krisenstäbe und die weitreichenden Befugnisse, die der Krisenstab auf Pellworm hat. Die Bedeutung der Warn-App NINA, neu aufzubauende Warnsysteme mit Sirenen sowie das ab Anfang nächsten Jahres verfügbare „cell-broadcast“, bei dem jede:r Handybesitzer:in im Katastrophenfall eine Warn-SMS erhält, wurden vorgestellt. Die Bedeutung der Eigenvorsorge mit Lebensmittelvorräten, batteriebetriebenen Radiogeräten sowie Notstromaggregaten für wichtige Einrichtungen wurde hervorgehoben. Nicht nur Überschwemmungen und Deichbrüche drohen als Katastrophen, Boye Hach ging ebenfalls eingehend auf die Gefahren eines Blackouts ein und welche Vorsorge seitens des Kreises hier betrieben wird. Zur weitergehenden Information hatte er eine aktuelle Broschüre des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz mitgebracht, die weitergehende Informationen und Hinweise enthält.
Gemeinsam mit Deichgraf Ernst August Thams stellte Claus Stock vom Ordnungsamt Pellworm die derzeitigen Aktivitäten der Gemeinde und des Amtes Pellworm vor. De Pellwormer hatte im November letzten Jahres ausführlich darüber berichtet. Der inzwischen gut 20 Jahre alte Evakuierungsplan befindet sich derzeit in Überarbeitung und wird in Kürze verteilt werden. Eindrücklich stellte Claus Stock die Probleme einer Evakuierung vor. Von den 750 Haushalten auf Pellworm müssen bei Wasserständen über 3m 350 evakuiert werden, steigt der Wasserspiegel auf über 3,50 m gibt es lediglich 60 Evakuierungspunkte auf Pellworm und bei einem Wasserstand über 4 m gibt es auf Pellworm keinen Punkt mehr, der Sicherheit bieten würde. Dr. Johannes Oelerich vom Ministerium gab eingangs seines Referats einen Überblick über die Größe der Aufgabe. Gefährdet hinter den Deichen sind Sachwerte in der Größenordnung von 30 Mrd. €, allein in Nordfriesland wären 50% der Bevölkerung im Falle eines Deichbruchs gefährdet. Eher etwas skeptisch wurde seine Aussage, die Sturmflutwasserstände seien „gefühlt“ höher“ als gemessen, aufgenommen. Bis zum Jahr 2100 sei mit einem Anstieg des Meeresspiegels von mindestens 84 cm zu rechnen. Sei der Meeresspiegel in den Jahren von 1900 – 2000 um ca. 15 cm angestiegen, so beobachtet man seit Beginn dieses Jahrhunderts so einen Anstieg von 1,5 cm / Jahr. Zum etwas ungläubigen Staunen der Zuhörer:innen berichtete er, dass nach den Berechnungen von Fachleuten und Wissenschaftlern auch bei den Stürmen Xaver 2014 und Zeynep 2022 auf Pellworm 2 m niedrigere Deiche ausgereicht hätten, um eine Überflutung der Insel zu verhindern.
Dr. Oelerich stellte den Aufbau und die Besonderheiten eines Klimaschutzdeiches vor und wies auf die besondere Bedeutung des Vorlandes hin, dass wesentlich zur Wellendämpfung beiträgt. Vorlandarbeiten würden intensiv betrieben und auch dort, wo das Nationalparkgesetz eigentlich jeden Eingriff in die Natur verbietet, könnten, soweit erforderlich, Küstenschutzarbeiten vorgenommen werden. Allerdings seien „künstliche“ Auf- oder Einbauten grundsätzlich ausgeschlossen. Die Bedeutung der Sände vor Pellworm wurde hervorgehoben, gleichzeitig aber auch daraufhin gewiesen, dass aus Gründen des Naturschutzes dort Eingriffe ausgeschlossen seien. Jedes Jahr bewegen sich die Sände gut 20 m Richtung Pellworm, wobei gleichzeitig schützende Sedimente in den westlichen Bereichen des Wattenmeeres verloren gehen. Dr. Oelerich war bemüht, mit einer Fülle von Zahlen, Messwerten und Berechnungen die Sorgen und Zweifel der Zuhörerschaft zu zerstreuen.
Die nachfolgende Diskussion zeigte allerdings, dass dies nur in Teilen gelungen war. Immer wieder tauchte die Frage auf, ob die geplanten Deicherhöhung ausreichend wäre. Der enorme logistische Aufwand, wenn ohne Sandvorspülungen die Deiche erhöht werden sollen, wurde thematisiert und immer wieder wurde auf die besondere Bedrohung einer Überflutung aufgrund der fehlenden 2. Deichlinie hingewiesen. Vorschläge, die Deiche mit Spundwänden zu verstärken wurden diskutiert, auch Rettungswarften, die zusätzliche Sicherheit bieten und keinen Ersatz für Deicherhöhungen darstellen sollen, wurden angesprochen. Die Schwierigkeiten, die sich beim Bau des Klimaschutzdeiches allein von Seiten des benötigten Materials und der erforderlichen Logistik ergeben, wurden dargestellt.
Abschließend ergriff Minister Tobias Goldschmidt noch einmal das Wort. Die Bedenken und Sorgen der Bevölkerung seien verständlich und würden gehört. Seitens des Landes seien die entsprechenden finanziellen Mittel bereitgestellt, die Deichabschnitte Wester und Alter Koog ständen als nächste auf der Prioritätenliste und würden in Angriff genommen, sobald derzeit laufende Maßnahmen abgeschlossen seien. Geplant sei, dass die beschriebenen Maßnahmen 2028 in Angriff genommen werden könnten. Entsprechende Finanzmittel seien bereits eingeplant. Gleichzeitig würde der Generalplan Küstenschutz alle 10 Jahre einer Überprüfung unterzogen und es sei nicht ausgeschlossen, dass dann auch andere Deichabschnitte auf Pellworm in der Prioritätenliste weiter nach oben rücken würden. Bürgermeisterin Astrid Korth machte abschließend deutlich, dass die Gemeinde Pellworm hier nicht lockerlassen und aus Pellwormer Sicht berechtigte Forderungen energisch vertreten wird.
Die von Bürgermeisterin und Gemeinde hervorragend vorbereitete Veranstaltung machte deutlich, dass seitens der Verantwortlichen die Sorgen der Bevölkerung ernst genommen werden und konkrete Planungen auf dem Weg sind. Dennoch verließ manch einer die Versammlung mit einem eher mulmigen oder skeptischen Eindruck. Auch die von Dr. Oelerich dargestellten „harten Fakten“ konnten nicht bei jeder Zuhörer:in die Bedenken zerstreuen, ein Phänomen, dass man nicht selten beobachtet, wenn berechtigte Sorgen und Eindrücke mit wissenschaftlichen Daten beantwortet werden. In der kommenden Ausgabe des De Pellwormer werden wir noch einmal eingehend über den Vortrag von Dr. Oelerich berichten.
Uwe Kurzke