War es Zufall, dass ich im Sommer 1986 ein Jahr vor ihm Pellworm kennenlernen durfte? Bundesweit lief damals zeitgleich eine Kampagne, die vakante Inselarztpraxis neu zu besetzen. Die Suche erreichte auch den Allgemeinmediziner und Badearzt Uwe Kurzke, so dass er bestens ausgebildet 1987 mit seiner Familie auf die nordfriesische Insel kam und blieb. Hier fand er das, was er gemeinsam mit seiner viel zu früh verstorbenen Ehefrau Dr. Gabriele Akkerman leben wollte. Für beide stand fest, Familie und Beruf miteinander zu vereinen.
Als einzige Mediziner auf Pellworm arbeiteten sie als Haus- und Notärzte, kassenärztlicher Notdienst und Palliativmediziner zugleich. Uwe Kurzke übernahm nach dem Tod von Gabi auch wie selbstverständlich die zunächst verwaisten Kindervorsorgeuntersuchungen. Von da an musste er immer erreichbar sein. Notfalleinsätze gehörten für ihn zur Routine ebenso wie die Entscheidung, ob Patienten stabil genug waren, um mit dem Seenotkreuzer oder dem Helikopter ans Festland gebracht zu werden.
Heute sind seine vier Kinder erwachsen und kommen nur noch von weiter her zu Besuch. Doch er ist geblieben, weil die Insel seine Heimat geworden ist. Nun ist Uwe Kurzke 70 Jahre alt geworden und vor wenigen Jahren als Inselarzt in den Ruhestand gegangen. Seiner Berufung blieb er für weitere 5 Jahren als „Bergdoktor“ in den österreichischen Alpen treu.
Wenn ich heute das Wirken von Uwe Kurzke als Inselarzt mit dem Blick von außen bewerten soll, so stelle ich mir zunächst die Frage, was macht einen guten Landarzt aus und treffen die folgenden Eigenschaften auch auf ihn zu?
Der Land- und Inselarzt muss für das Fach Allgemeinmedizin brennen und von seinem(r) Beruf(ung) begeistert sein. Er muss sich seiner Aufgabe bewusst sein, als Vertrauter, Versorger und Lotse der Rat suchenden Menschen bei allen kleinen und großen Problemen ein offenes Ohr und Herz zu haben. Landärzte verfügen allein schon deshalb über ein breit gefächertes Wissen, weil die Bandbreite der Behandlungen enorm ist, denn sie werden mit einer Vielzahl an Problemen konfrontiert: vom Wehwehchen am Fuß über chronischen Husten bis zum Herzinfarkt. Nicht selten baut man Beziehungen zur ganzen Familie über Generationen auf und weiß, wer welche Probleme mit sich bringt – auch das muss man mögen. Das hilft aber auch im Beruf, weil man die Patienten häufig viel besser einschätzen kann. Die Freiberuflichkeit lässt (ließ) einen großen Gestaltungsspielraum zu. Eigene Regeln für den Alltag in der Praxis wie Öffnungszeiten, Auswahl der Angestellten, Ausstattung, Arbeitsklima, einfach fast alles kann selbstbestimmt werden! Hausbesuche gehören zum festen Tagesgeschäft, da es häufig ältere Patienten gibt, die regelmäßig gesehen werden müssen.
Ausdrücklich möchte ich auf ein Alleinstellungsmerkmal der Inselarzttätigkeit auf Pellworm hinweisen. Zum Teil alptraumartige Erzählungen und Erlebnisse von ganzjährigen 24/7 Bereitschaften waren im Leben von Uwe Kurzke eine Lebens- und Berufswirklichkeit, die höchsten Respekt verdient und in der Betrachtung nahezu übermenschlich erscheint. Wie er es gleichzeitig geschafft hat, seine wissenschaftliche Dissertation mit einem Thema zur Analyse onkologischer Erkrankungen auf der Insel Pellworm mit Auszeichnung zu verfassen, bleibt mir bis heute unbegreiflich. Alles hat(te) Hand und Fuß!
Auf einer Insel wie Pellworm wird man schnell bekannt, ob man will oder nicht. Landärzte stehen in der Gunst der Leute häufig auf einer Ebene mit Bürgermeistern oder Pfarrern.
Was hat Uwe Kurzke aus der Zeit seines Insellebens gemacht?
Neben der bereits beschriebenen außergewöhnlichen und weit über das Normale hinausreichenden ärztlichen Tätigkeit ist er zu einer immer noch prägenden Persönlichkeit der Inselgemeinschaft geworden. Mit großem Detailwissen hat er seine Visionen einer besseren Zukunft eingebracht. Trotz seiner beruflichen und familiären Belastung als alleinerziehender Vater ist er stets ein streitbarer Geist geblieben, der im Interessen- und Vereinsleben Pellworms einen festen Platz einnimmt. Sein Engagement für die Verbesserung der medizinischen Versorgungsstrukturen, für ein gutes Leben auf der Insel und den Umweltschutz haben das Miteinander nachhaltig verändert. Und damit nicht genug! Ob Kunstaustellungen in seinen Praxisräumen, als Buchherausgeber, Redaktionsmitglied des „De Pellwormer“, Sternenvater, Fotograf, Vielleser und -interessierter, Impulsgeber für Einladungen prägender Künstler und Wissenschaftlern nach Pellworm und in seinem Mitwirken in den einschlägigen Musikbands – Uwe Kurzke ist ein Teil der lebendigen Kulturszene der Insel. Legendär sei hier an das Auftreten von „Way North“ über den Dächern von Köln mit 25 weiteren Insulanern erinnert, die die Domstadt damals gerockt haben – ich konnte mir damals aus Anlass eines runden Geburtstages den Traum einer eigenen Hausband erfüllen!
Bei so viel konstruktiven Frontlinien bleibt es nicht aus, dass Empathie, Emotionalität und positive Energie im Inselleben Bewegung erzeugt. Wer fragt, bewegt! Und Uwe Kurzke ist ein Meister der offenen Fragen, die seine Mitmenschen mitnehmen und motivieren vermögen. Unterschiedliche Meinungen sind der Brunnen der Zukunftsoptionen. Und zu dieser Meinungsvielfalt hat er maßgeblich beigetragen. In unzähligen Begegnungen und Gesprächen habe ich Uwe Kurzke als kritisch-konstruktiven Freund und leidenschaftlichen Liebhaber „seiner Insel“ erfahren dürfen. Ich weiß, wie schwer es ist, es allen Menschen recht zu machen und kenne das Gefühl, hier mitunter auch an Grenzen zu stoßen. Die Wertschätzung, die Uwe Kurzke in Gesprächen mit mir allen seinen Freunden, Weggefährten und Mitbürgern gegenüber zuteilwerden ließ, weisen ihn als einen besonderen Menschenfreund aus, auf den die Insel ein klein wenig stolz sein darf. Er fragt auch heute noch in Anlehnung an ein Zitat von John F. Kennedy, was kann ich für die Insel tun und nicht, was kann die Insel für mich tun!
Vielleicht hat sich Pellworm in den letzten fast fünfzig Jahren doch auch ein wenig durch seine Energie und Beharrlichkeit verändert!?
Ich bin jedenfalls glücklich, durch Uwe Kurzke Freunde fürs Leben auf Pellworm gefunden zu haben, ohne die mein Leben ein großes Stück ärmer geblieben wäre.
Jürgen Zumbè